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1. Charme unter Schutz

Österreich will alles für Austria Typische von der Unesco behüten lassen

Da steht er, der Walzerkönig. Johann Strauß in eleganter Stehgeigerpose, fidel fiedelnd, lebensgroß und komplett vergoldet im Stadtpark, Innerer Bezirk. Gold hält ewig, meint man, nicht nur in Wien. Doch jetzt soll die charmante Tonkunst von Strauß, Lehar und Kálmán, die als zutiefst österreichisch gilt, unter den Schutz der Unesco gestellt werden. Und nicht nur die. Alles, was als charmant und typisch fürs Land erscheint, möchte das Reiseziel jenseits der Alpen für schutzbedürftig erklären, sozusagen patentieren lassen. Weil man gemeinhin weiß, dass den Österreichern der Charme angeboren sei. 

Das ist vielleicht schamlos charmant, aber auf jeden Fall eine nette Idee. Seit vier Jahren sucht die Unesco - die schon 812 materielle Kulturerbestätten unter ihren Schutz gestellt hat, allesamt große Bauten, Städte und Landschaften der Welt - jetzt auch geistige Schätze. Denn auch die immateriellen Werte gelten der Unesco als schützenswert für die nachfolgenden Generationen. Der „erweiterte Kulturbegriff“ umfasst grundsätzlich alles, was von Menschen geschaffen wurde und als Kultur definiert wird: Lebensformen, Weltbilder, Traditionen und Bräuche.

Bisher haben 19 Länder, etwa Algerien, Gabun, Mali oder die Seychellen, die Konvention unterschrieben. International bindend wird sie jedoch erst, wenn mindestens dreißig Länder mitmachen. Schneller sind die Pretiosen zur Hand. Wie die Deutsche Unesco-Kommission (DUK) in Bonn mitteilt, stehen derzeit 37 auf der Welterbeliste. Vor allem in Asien und Afrika ist das Interesse groß. Anders als die abendländische Kultur sind in den Ländern dort Monumente weniger wichtig als gelebte Kultur. Sie äußert sich besonders durch Theater, Tänze, Gesänge, Sprachen und Handwerk.

Nun ja, der Charme der Österreicher Chancen lässt sich nicht anfassen wie etwa die Chinesische Mauer. Deshalb käme er als immaterielles Gut wohl in Betracht, heißt es. Man kann ihn auch nicht von heute auf morgen zerstören, wie vor ein paar Jahren die Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan-Tal, die mutwillig zerlegt wurden. Der Charme ist möglicherweise noch weniger greifbar als das Kutiyattam Sanskrit-Theater aus Indien, das das Unesco-Zertifikat bereits hat, oder das chinesische Schattenboxen Chen-Taiqi. Womöglich ist Charme leichter vergänglich, unverbindlicher anzutreffen, schwieriger zu erlernen als das japanische Nô Theater oder die Kultur der Torajas in Indonesien.

Die Österreicher unterteilen den Charme in zwölf Kategorien. Da gibt es Kategorien wie etwa „Charmante Leckerbissen“, deren Erscheinungsform köstlichste Konfitüre und deren Protagonist Hans Staud ist – er selber durch und durch galant. Auch Waldviertler Knödel, Salzburger Nockerln und Kärntner Reindling gehören hierher. Oder das Charme-Genre „Baukunst“ wie das originelle Loos-Haus in Payerbach. Und natürlich: die „Dienstleistungen“, deren Erscheinungsform das Wiener Kaffeehaus mit seinen Gnä-Frau-Begrüßern und Küss-die-Hand-Schmeichlern ist: galant, aber niemals devot! Sogar der geliebte Tod wird jenseits der Alpen zum Charme-Fall. Er gehört ins „Charmante Ende“, in dem der Jedermann-Schauspieler Tobias Moretti gefeiert wird.

Nicht zu vergessen, die Tonkunst. Erscheinungsform sind die Seefestpiele in Mörbisch, deren Protagonist Harald Serafin ist. „Fledermaus“, „Lustige Witwe“ und „Zigeunerbaron“ vom Aussterben bedroht? Weit gefehlt. Der Tanz im Dreivierteltakt scheint in Österreich gegen Vergänglichkeit resistent zu sein. Habsburger kamen und gingen, Revolutionen, Moden, die Zwölftonmusik und der Blues. Doch der 73-jährige Charme-Meister hat der Operette auf seiner Bühne neues Leben eingeflösst. Seit 1992 kommen jährlich 220 000 Besucher an den Neusiedler See.

Alles in allem eine hochkarätige Charmeoffensive. Doch was ist eigentlich Charme? Für Hans Staud, den Konfitüren-Charmeur aus Wien, ist Charme eine Sache der Herzensbildung, sprich: emotionale Intelligenz. Andere meinen, wie die Operettendiva Birgit Sarata Rajer, dass es diese ungeschminkte, oft mit derbem Humor gewürzte, aber stets angenehm lächelnde Art sei. Der Wiener Kabarettist Niko Formanek findet dagegen, dass dieses „Lächeln nur die charmanteste Art ist, anderen die Zähne zu zeigen.“ Augenzwinkern, Notlügen bis hin zu skurrilen Bösartigkeiten sind erlaubt. Das heißt dann „Schmäh“ und das Verb dazu „granteln“. Der Würstelstandl-Verkäufer am Wiener Volkstheater bezweifelt gar den Charme überhaupt: „Des is a Weltschmerz, eine blöde Jammerei.“

Die Kulturhistorikerin Anna Ehrlich aus Wien definiert indes so: „Erstens sind Wiener immer charmant, wenn das Gegenüber bald wieder abreist. Zweitens sagt er niemals nie, was ihn so entgegenkommend macht. Und Drittens sind sie Frauen gegenüber prinzipiell galant in bester k.u.k.-Tradition.“ Auch die typischen Formulierungen wie „Gnä’ Frau“, „Habe die Ehre“ oder „Euer Exzellenz“ haben aus jenen Zeiten überlebt. Der Dichter Johann Nestroy, der während der Österreich-Ungarn-Monarchie lebte, überrascht mit folgendem Satz: „Ich glaube von jedem Mensch das Schlechteste, selbst von mir. Und ich habe mich noch selten getäuscht.“

Einen kleinen Schönheitsfehler hat das Projekt der Österreicher allerdings. Das Land hat nämlich die Unesco-Konvention für das immaterielle Kulturerbe noch gar nicht unterschrieben. Aber die Idee ist charmant, oder?

Der Tagesspiegel

© Beate Schümann

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