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3. Mit jeder Sprosse werden die Knie weicher

An Bord des betagten Segelschiffes Grethe Witting auf einem Hanse-Segeltörn in der Ostsee: Wismar, Rostock, Stralsund – wer auf dem Hansetörn lernt alte Hansestädte kennen und atmet frische Seeluft ein. Wie einst die Seefahrer können Landratten heute an Bord des Gaffelseglers durch die See kreuzen.

„Und ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen wird liegen am Kai ...!“ Der Song von der Seeräuber-Jenny dröhnt uns schaurig-schön vom Deck des stattlichen Old­timers entgegen. Dabei stammen weder Brecht noch der am Kai vertäute Segler aus der Zeit der Seeräuberzeit. Egal: Im alten Wismarer Hafen, wo alles noch ein bisschen nach Hanse und voll beladenen Koggen riecht, bringt das Lied die Mannschaft in die richtige Stim­mung.

Noch ragen die beiden Masten nackt in den blauen Himmel. Doch die im Wind klappernden Wanten erzählen schon vom Fernweh, und die Wellen glucksen betörend zwischen Holz und Ha­fenkai. Jenny geht uns nicht aus dem Kopf, selbst beim Koje-Belegen nicht. „Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen und ich mache das Bett für jeden, ... dies lumpige Hotel ...“ Wir müssen lachen, denn ganz so schlimm ist es nicht. Die Kajüten auf der „Grethe Wit­ting“, so heißt unser Schiff, sind sogar eher geräumig und komfortabel. Es fehlt an nichts, das hat die erste Inspektion des 30 Meter langen Schiffes bereits ergeben: Spültoiletten, eine Bib­liothek, eine mit Sekt und Selters gut ge­füllte Kombüse und ab morgen ist auch der Smutje da.

„Alle Mann an Deck!“, ruft jemand durch die Luke. Oben machen wir mit dem Bootsmann, besser: der Bootsfrau, Bekanntschaft. „Wenn ich sage ‚loslassen‘, heißt das – Tau fallen lassen und nicht noch weiter in den Händen festhalten. Ist das klar?“ Eifriges Kopfnicken bei der 15 köpfigen, weitge­hend segelunerfahrenen Mannschaft. Sa­bines Befehle sind klar genug. Bevor der hochseetüch­tige Gaffelsegler von 1914 morgen in See sticht, verpasst sie den Landratten einen Schnellkurs in Knoten, Segelsetzen und Schiffsmanöver. Der Rest der Besatzung, Maat Christian und Uwe, der Maschinist, packen mit an.

Nachdem Pahlstek und Segelraffen leid­lich sitzen, geht’s zum Landgang runter vom Schiff. Wismar, der Startpunkt des Hansetörns, hatte einst an der Ostsee einen klingenden Namen. Während Lübeck sich als „Königin der Hanse“ brüstete, rühmte Wismar sich als ihre „Perle“. Wie Edelsteine sitzen die gla­sierten Ziegel im „Alten Schweden“, dem Prunkstück unter den Patrizierhäu­sern am Marktplatz. Die Blendfassade strotzt bis unter die Giebelspitze vor Standesbe­wusstsein. Dank der Kontrolle über See­wege und der Handelsmonopole für Tuch, Salz, Pelzen und Honig waren Macht und Reichtum der Hansestädte bei­spiellos gewachsen. Die grandiose Ar­chitektur der Backsteingotik sollte der Welt zeigen, wer hier die wahren Herrscher waren: Nicht die Landesfürs­ten, sondern die Kaufleute.

Für seine da­mals gut 5000 Einwohner leistete Wismar sich drei Großkirchen: St. Nikolai mit ei­nem 37 Meter hohen Mittelschiff, St. Ma­rien, von der nur noch der wuchtige Turm noch steht, und St. Georgen, die selbst als Ruine Majestät bewahrt hat. Die Unesco hat deshalb Wismar und Stralsund, Han­sekollegin seit 1293, gerade ins Welterbe aufgenommen. Abends an Deck erzählt der holländi­scher Skipper Wim Ruiter, seit mehr als zehn Jahren Chef auf dem Trawler, noch bis Mitternacht von seinen Seeabenteuern. Etwas Seemannsgarn ist auch dabei. Nach der dritten Flasche Bier ist Seeräu­ber-Jenny wieder unter uns. „... Und der Penny wird genommen und das Bett wird gemacht. Es wird kei­ner mehr drin schlafen in dieser Nacht ...“ Viel später wiegen uns die Wellen in den Schlaf. Am nächsten Morgen versüßt uns der Smutje das frühe Aufstehen mit frischen Brötchen, Schinken, Rührei und Krabben. Dann heißt es „Leinen los!“ Blitzartig schnellen die 437 Quadratmeter Segel die Masten hoch. Atemberaubend. Maat Christian wickelt die schwarze See­räuberfahne aus, hisst dann aber doch lieber die von Mecklenburg-Vorpommern. Scherz gelun­gen. Doch bei Windstärke drei flattern die Segel nur lustlos vor sich hin. Uwe wirft den Motor an. Das Fahrwasser ist nicht betonnt, aber der Kapitän kennt sich aus. Der 59-jährige Seebär lenkt seine betagte Dame stur und steif ostwärts, immer an der Küste entlang. Unter seinem wach­samen Auge darf jeder einmal das honig­farbene Holzsteuerrad übernehmen.

„Ein bisschen Bewegung gefällig?“, ruft Sabine den Sonnenanbetern zu, ein Angebot, mit ihr in die Wanten und zum Mast hoch zu krabbeln. Mutige vor! Bis zur Rahe sind es locker fünfzehn Meter. Ein alpi­ner Klettergurt sichert den angehenden Mast­gucker, der über die Reling in die Leiter aus Tauen klettert. Doch die Cou­rage ändert sich mit der Perspektive. Während „Grethe Witting“ ungerührt mit dem Bug weiter ein- und auftaucht, wer­den die Knie mit jeder Sprosse weicher. „Nicht nach unten schauen“, warnt Sa­bine. Oben angekommen, entschädigt der Blick auf die weite See und das meterlange Holzschiff für das Zähneklappern.

Vorbei am Leuchtturm von Bastorf und dem legendären Seebad Heiligendamm, steuert die „Grethe“ auf Warnemünde zu, wo sie für die Nacht Station macht. Die Hansestadt Rostock, die 1259 den Bund mit Lübeck und Wismar schloss, liegt an der Warnow weiter landeinwärts. Deshalb hatten die Pfeffersäcke 1323 das kleine Fischerdorf an der Warnowmün­dung kassiert, um ihren Koggen die unge­hinderte Einfahrt zu sichern. Die Rosto­cker Speicher erinnern noch an die riesigen Warenmengen, die hier einst umge­schlagen wurden: Weine aus Spanien und Frankreich, Pelze und Holz aus Nowgo­rod, Robbenspeck und Felle aus Norwe­gen. Und auch hier stehen die Backstein­kirchen in Dimension und Pracht den Schwestern im Süden keinen Deut nach.

Am zweiten Tag macht Windgott Rasmus wieder einen schläfrigen Eindruck. Mit Sonnencreme bewaffnet, legt sich die fi­dele Hobbymannschaft auf die Holzplan­ken, während der Trawler gen Stralsund schaukelt. Von fern klingen Christians Geschichten von Vineta, dem baltischen Atlantis, über dessen Lage die Historiker beständig streiten; von Piraten wie Stör­tebeker und Gödeke Michel, die an den seichten Küsten keine rechten Verstecke fanden, weshalb das von ihnen getriebene Unwesen eher klein gewesen sein dürfte.

Erst das Anlegemanöver an der Zingster Seebrücke rüttelt alle aus dem Schönheits­schlaf. Sofort sammelt sich am Kai eine Traube neugieriger Feriengäste, für die der maritime Oldtimer eine willkommene Abwechslung von Dünen, Boddenland­schaft und Rapsfeldern ist. Am nächsten Morgen, als die Dünen von Zingst schon zum Sandhaufen geschrumpft sind, frischt der Wind plötzlich auf, und es kommt doch noch etwas Hoch­seefeeling auf. Hart am Wind geht „Grethe“ in Schräglage und fährt zügig auf Stral­sund zu. Eine faszinierende Skyline aus Gie­belhäusern und Kirchturm­spitzen zeigt sich zur Seeseite hin.

Letz­ter Landgang zu diesem Flächendenkmal mit 811 geschützten Gebäuden, mit ma­lerischen Gassen und Plätzen, das an ei­nem Tag kaum zu meistern ist. „... und es werden kommen hundert gen Mittag an Land ...“ lässt einer noch einmal unsere Lieblingsballade erklingen. Wenn noch weit mehr vor dem Backsteinensemble aus Rathaus, Bürger­kirche und Giebelhäusern am Alten Markt stehen und staunen, wäre das kein Wunder. Die filigranen Türmchen, Giebel und Windlöcher schmücken die Schauwand über dem Rathaus wie Brüsseler Spitzen. Wand an Wand schmust das Stadtpalais mit der mächtigen Nikolaikirche, die der Bürgerstolz 1276 auf­türmte. Niemand zweifelt, dass der Kommerz in der sonst schläfrig wirkenden Stadt einmal den Ton an­gab.

Am Abend werden die Seesäcke gepackt, die Kojen geräumt. Die Freizeitsegler verlassen die „Grethe Wit­ting“ nicht als sinkendes Schiff. Der Sonnenbrand auf der Nase, der leicht schaukelnde Gang und ein bisschen Fernweh sind noch ei­nige Tage nach dem Hansetörn spür­bar. Aber irgendwann ist auch der See­räuber-Jenny-Ohrwurm verklungen.

Südwest-Presse
© Beate Schümann

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