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12. Blaue Stunde

Unsere Vorstellungen von Ungarn reichen von Gulasch bis Puszta, aber Wein kam darin kaum vor, höchstens Tokayer. Doch das neue EU-Partnerland überrascht Besucher mit herrlichen Landschaften und bemerkenswerten Weinen.

Es ist dieser kurze Moment nach Sonnenuntergang, wenn die Sonne noch genug Kraft hat, um den Himmel und die Donaudiva in ein tiefes Blau zu kleiden. In diesem Augenblick fängt man an, die zwischen Heiterkeit und Schwermut schwankende Stadt zu verstehen. Zu dieser Stunde gehen in Buda die Strahler vom Burgberg, der Fischerbastei und der Matthiaskirche an, kurz darauf die Lichter der Kettenbrücke. In Pest leuchten in sanftem Gelb die Jugendstilfassaden. Die Donau funkelt im Lichterschein. Sie verbindet und trennt und fließt, als ob nichts gewesen wäre: Mongolenstürme, Türkenherrschaft, zwei Weltkriege, der Sozialismus und der EU-Beitritt.

Wegen dieses Schauspiels habe ich im "Gerbeaud" am Vörösmarty tér, einem der ältesten Kaffeehäuser der Stadt, mein Glas stehen lassen und bin mit den anderen Flaneuren zum Donaukorso aufgebrochen. Vor der Redoute packt der alte Zitherspieler, der für jeden Forint dankbar ist, gerade sein Instrument ein, um den Zigeunerkapellen in den schicken Terrassenrestaurants das Feld zu überlassen. Sie spielen herzzerreißende ungarische Weisen, die der enzianblauen Stimmung noch einen Extra-Schuss Wehmut geben.

Im Land der Magyaren. Schon das Wort klingt mystisch, die Sprache noch mystischer. Eine typisch ungarische Rebsorte heißt Cserszepi füszeres. Absolut unaussprechlich. Das Finnougrische ist eine Technik, die wohl nur Ungarn beherrschen. Zum Glück können viele Winzer deutsch. Denn unter den deutschen Siedlern, in der Zeit von Maria Theresia ins Land kamen, waren viele schwäbische Weinbauern.

Auch die Familie von Vilmos Thummerer spricht deutsch. Sein Weingut liegt im Anbaugebiet Eger, nordöstlich von Budapest, zu Füßen des Bükk-Berges. Nach der Wende kaufte Thummerer in Noszvaj einen heruntergekommenen gräflichen Weinkeller, der in den vulkanischen Tuffberg hineingehauen ist, 4000 Quadratmeter ideale Lagerbedingungen. Heute sind die Wände in dem Kellerlabyrinth wieder schwarz vor Weinhefen, zeigt er mir stolz.

Der studierte Önologe hängt an seinen einundzwanzig roten und weißen Rebsorten. "Zu viel, aber ich brauche sie alle", sagt er, weil er noch probiert, welche Sorte wo am besten wächst. Auch sein kraftvoller, vollmundiger Egri Bikavér 1999 ist so entstanden, eine Cuvée aus Kékfrankos (Blaufränkisch), Cabernet Sauvignon, Merlot und Nagyburgundi (Blauburgunder). "Ich nehme dafür nur die besten Trauben eines Jahrgangs." Qualitätswinzer wie Thummerer haben sich vom einstigen Massenwein "Stierblut" längst verabschiedet. Der Egri Bikavér unterliegt heute festen Kriterien. Von neun zugelassenen roten Rebsorten müssen mindestens drei vertreten sein, die Basis muss Kékfrankos und der Geschmack trocken sein. Eine Kommission prüft und vergibt die geschützte Herkunftsgarantie DHC (Districtus Hungaricus Controlatus).

Thummerer baut Wein in der ersten Generation an. Sukzessive kaufte er nach der Wende Parzellen. Im sogenannten "Gulasch-Kommunismus" war Privateigentum zwar enteignet worden, aber jeder einzelne durfte für den Eigenbedarf 0,3 Hektar besitzen. Der Trick war überall gleich: Wer Wein machen wollte, "pachtete" die erlaubten 0,3-Hektar von Mutter, Bruder, Schwiegermutter und den Nachbarn. "Meine ersten sieben Hektar Rebland waren auf 30 Namen eingetragen", erinnert er sich. 1990 besaß er 25, heute 80 Hektar Weingärten. "Mehr will ich nicht."

In der Weinregion Eger gibt es kaum einen Winzer, der keinen Bikavér herstellt. Das ist auch bei der Tibor Gál Weinkellerei so, die 1993 gegründet wurde. Sie ist in einer historischen Kellergasse untergebracht, direkt gegenüber der staatlichen Kellerei, in der Tibor Gál bis 1989 als Önologe tätig war. Als Gál Anfang dieses Jahres plötzlich starb, war der 46 Jährige ein Globalplayer geworden, der ungarische Weine weltweit aus dem Imagetief gezogen hatte. "Wir haben sehr eng zusammen gearbeitet", sagt Önologe Tomász Gromón, als wir in den feucht-kühlen Tuffberg gehen. In dem sechzehnarmigen Labyrinth werden jährlich gut 300 000 Flaschen Wein ausgebaut, die besten Tropfen aus vielfach prämierten Lagen wie "Pajados", "Gröber" und "Síkhehy". Bei Tibor Gál wird es weitergehen. Gromón hat die drei Weinlinien mit vierzehn Weinen im Griff. Gáls Frau Viola hat die Leitung des Unternehmens übernommen, der 20-jährige Sohn Tibor studiert Önologie.

Eger, das zu k.u.k-Zeiten Erlau hieß, müsse man sehen, hatte ich gehört. Am Dobó István tér wird sofort klar, weshalb: Barock. Alles ist perfekt restauriert. Vor der Minoritenkirche erinnert ein Ehrenmal an jene Türkenschlacht von 1522, in der die Ungarn siegten, weil der wegen gegnerischer Übermacht ausgeschenkte Rotwein ihnen Bärenkräfte verlieh. "Stierblut" eben. Daneben steht ein Reiterstandbild mit metzelnden Osmanen, wirklich Angst einflößend. Ein Restaurant bietet sogar "Türkenschläger", ein Nierenragout - sehr scharf.

Es braucht Zeit, um das Land bis fast an die Grenze Kroatiens zu durchqueren. Links und rechts die Felder - Korn, Sonnenblumen, Kartoffeln und Mais, Mohnblumenwiesen, heitere Dörfer, mal ein trabender Pferdewagen, mal eine Harley Davidson mit HU-Kennzeichen. Bis ich in der Heimat des Kadarka ankomme, der einzigen roten einheimischen Rebsorte, in Szekszárd.

Das Weingut Ferenc Vestergombi baut auf 30 Hektar Rebland fast nur rote Gewächse an. "Bei der Größe kenne ich noch jeden Stock", sagt Csaba Vestergombi, der zweite Mann im väterlichen Betrieb. Vater Ferenc war dreißig Jahre Winzermeister im Kombinat und investierte Millionen in den Neuanfang. "Wir sind unsere eigenen Großväter", sagt der Sohn, weil es in Ungarn keine Weindynastien wie in Frankreich gibt. Dabei war Szekszárd das nobelste Weingebiet Österreich-Ungarns. Schubert und Liszt schrieben Hymnen auf den Szekszárdí Kadarka. Päpste sollen an ihm genesen sein. Die Vestergombis knüpfen an diese Tradition wieder an. Natürlich füllen sie auch Bikavér ab.

Bei Mohács verabschiede ich mich von der weiten Auenlandschaft der Donau und fahre ins Baranya-Gebirge. Deutsche Weinbauern siedelten hier, was den Dörfern anzusehen ist. Palkonya ist ein typisches Kellerdorf. Hier reihen sich gut 50 Presshäuser aneinander, alle tipptopp gepflegt und denkmalgeschützt, manche 300 Jahre alt. An einer maisgelben Holztür lehnt ein Traubenbauer in magyarischer Gelassenheit, an der Wand sein Drahtesel. "Na, ein Gläschen Wein?" fragt er mit rauchiger Stimme.

Auch Villány hat eine typische Kellergasse. Das Dorf, das der historischen Weinregion den Namen gab, steht heute für das wohl größte Rotwein-Potenzial Ungarns. Kaum irgendwo sonst im Land gibt es so viele Spitzenwinzer auf einem Fleck. Ede Tiffán, einst Winzermeister im Kombinat, wurde 1990 als erster zum "Winzer des Jahres" gekürt. "Der Wein war vorher ein Schmarn", protestiert der ambitionierte Winzer auf Süddeutsch. Nach 1989 stellte der Staat die Subventionen ein. Die Märkte Osteuropas brachen weg. Plötzlich mussten die Winzer exportieren und sich mit anderen messen. "Wir waren zum Umdenken gezwungen, in der Bergpflege, Weinlese und Kellertechnik."

Tiffán stellte sich um. Sein 26 Hektar großes Weingut liegt am Fuße des Berges Kopár, Villánys beste Lage, vielleicht sogar eine der besten weltweit. "Löss mit Kalk durchmischt, das mögen die Bordeaux-Pflanzen." Allerdings muss er sich die Parzellen mit anderen Spitzenwinzern wie Attila Gere und Joszéf Bock teilen. Kopár bedeutet "kahl", und tatsächlich gleicht der Gipfel einer kümmerlichen Steppe. Weiter unten drängen sich aber die Rebstöcke. Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc, aus denen Tiffán seinen Superwein "Cuvée Carissimae" kreiert. "Carissimae" ist der kräftige Terroir-Wein, die "Grand Selection" der elegantere. Solche Roten brauchen die französische Konkurrenz nicht mehr zu scheuen.

Kontrollierte Appellationen wie in Frankreich gibt es in Ungarn nicht. Doch da die meisten Winzer in Villány bereits in modernste Kellertechniken und Abfüllanlagen investiert haben, wollen sie jetzt für ihre Weinregion als erste in Ungarn das DHC-Qualitätssiegel. Der Antrag ist eingereicht.

Attila Gere, Winzer des Jahres 1994, wohnt gleich nebenan. Auch er hofft auf die Anerkennung der Appellation Villány, um den Wein besser vermarkten zu können. "Das ist ein Muss, wenn wir uns in der EU behaupten wollen", sagt der Winzer, der in Villány mit 50 Hektar zu den größten und erfolgreichsten zählt.

Als wir im nagelneuen Keller vor den blitzenden Edelstahltanks stehen, erwähnt er im Nebensatz, dass sein "Solus 2000" den legendären "Pétrus" bei einer Blindverkostung geschlagen hat. In Ungarn ist "Solus" schon ein Kultwein. "Jeden Tag kommen zig Anfragen, obwohl der 2004 schon komplett verkauft ist."

Wie die meisten in Villány macht er aus den typischen Bordeaux-Sorten, Médoc und Pinot Noir seine besten Weine. Keine neue Mode, denn sie wurden als "Herrschaftssorten" bereits unter den Habsburgern angepflanzt. Dass Tempranillo und Shiraz bei Gere wachsen, bleibt vorerst Spielerei. In seinem "Kopár Cuvée 2002" schmusen perfekt Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot. Das feurig-pfeffrige Aroma erinnert an Paprika, die rassigen Tannine an scharf gebratenes Gulasch. Die meisten Weine verkauft Gere noch in Ungarn.

Gere ist im nahen Pécs geboren, eine 185.000-Einwohnerstadt mit mediterranem Flair. Auch hier regierten die Türken, fast 150 Jahre. Doch am zentralen Széchenyi-Platz ist der Halbmond noch nicht ganz untergegangen. Niemand hat die mächtige Moschee zerstört, über deren patinagrünen Kuppel wie damals die osmanische Sichel thront. Bei genauem Hinschauen sehe ich aber, dass aus ihrem Bauch ein christliches Kreuz gen Himmel ragt. Statt des Imam hält der Priester heute die katholische Messe.

Die altchristlichen Grabkammern unter dem Dom St. Peter, seit 2001 Unesco-Welterbe, soll Pécs übrigens Mönchen zu verdanken haben. Sie fanden sie um 1782 beim Erweitern ihres Weinkellers. Auch hier existiert eine selige Verbindung zum edlen Saft. Bischof Michael Meyer ist Winzer und weiß, wie er seine Schäfchen in den Weinberg holt: Im Ticket für die Besichtigung der Basilika ist ein Glas Messwein mit drin, von Meyer selbst gekeltert.

Weinwelt

© Beate Schümann


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