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15. Zwischen Fado und Fußball

Unterwegs im Norden Portugals: Kultur-Tourismus während der EM 2004 – Porto, Guimarães und Braga

Kennerschaft ist immer mit Leidenschaft verbunden. Und Leidenschaft immer mit Leiden. Manche Fußballfans glauben ja, dass die EM für Deutschland bereits am 19. Juni in Porto mit dem zweiten Gruppenspiel gegen Lettland vorbei sein wird. Sollen sie unken, die Skeptiker. Erst wenn in den Fußballstadien von Porto, Guimarães und Braga die Lieblinge (es muss ja nicht immer „unsere“ Nationalelf sein) untergegangen sind und die Feinde triumphieren, wird es Zeit, die strapazierten Nerven mit etwas schöner Landschaft und Kultur zu besänftigen.

Die Europameisterschaft 2004 beginnt in Porto am 12. Juni mit dem Auftaktspiel Portugal gegen Griechenland. Es findet im Dragão-Stadion des FC Porto statt, eines der zehn neuen Luxus-Stadien, die Portugal extra zu diesem Anlass für 595 Millionen Euro bauen ließ. Auch Deutschland wird in Porto seine ersten beiden Turniere in der „Hammer-Gruppe“ (Team-Chef Rudi Völler) absolvieren: gegen die Favoriten Niederlande und Lettland, allerdings im kleineren Bessa-Stadion des Vereins Boavista.

Zwischen den Duellen bleibt Zeit, die Stadt anzuschauen, an die Atlantikküste zu fahren oder in die nahen Weinregionen. Die Hafenstadt am Douro ist Portugals zweitgrößte Stadt und trägt den Beinamen „heimliche Hauptstadt“: Lissabon mag Hauptstadt sein, Porto ist die Wirtschaftsmetropole. Die alteingesessene Kaufmannschaft gibt hier den Ton an, die palastartige Börse von 1844 verkörpert in Pracht und Dimension ihr Symbol. In allen Winkeln ist zu spüren, dass in dieser Stadt stets das Kapital regiert hat, nie der Adel. Macht und Reichtum datieren aus dem 16. Jahrhundert, der Zeit der Entdeckungen und Kolonien. Im 17. Jahrhundert kam der Portweinhandel, bis heute ein Bombengeschäft.

Feudale Paläste sucht man bei den kühlen Gemütern mit den liberalen Neigungen vergeblich - es gibt nur zwei: den der Kaufleute und den des Bischofs. Selbst der König hinterließ weder Schloss noch Burg. Wenn er nach Porto kam, schlug er sein Bett beim geistlichen Oberhirten auf; und er kam nicht allzu oft. Auch architektonisch herrscht Nüchternheit vor, der es an Glanz jedoch nicht mangelt. Stattliche Bürgerhäuser und ungezählte Kirchen prägen die Altstadt. Alle wichtigen Barockbauten, etwa die Igreja de São Francisco und die Igreja de Santa Clara, verdankt sie dem italienischen Bau­meister Niccolò Nasoni, der die Kirchen innen verschwenderisch mit dem Gold aus Brasilien ausstaffierte und deren Fassaden er mit weißblauen Fliesen wie mit Tapeten dekorierte. Auch der markante Glockenturm Torre dos Clérigos, Portos Wahrzeichen, der mit seinen 76 Metern einst Seefahrern zur Orientierung diente, stammt von Nasoni.

In der Ribeira, dem mittelalterlichen Handwerkerviertel, zeigt Porto sich von seiner besten Seite. Die Restaurants-, Café- und Barbesitzer wissen das, weshalb sie die Preise gnadenlos in die Höhe treiben. Mühsam klettern die altersschiefen Etagenhäuser hügelauf, hügelab über enge Steilgassen und verwinkelte Treppen zum Kathedralenhügel Penha Ventosa hinauf, der über das bildschöne Ambiente wacht. Weiter unten am Fluss, wo vor 500 Jahren die schwer beladenen Karavellen der Seemacht anlegten, sind ausgediente Weinschiffe fotogen vertäut. Im Hintergrund spannt die vom Pariser Ingenieurbüro Eiffel entworfene Eisenbrücke Dom Luís I. ihren Bogen kühn zur anderen Uferseite nach Vila Nova de Gaia, wo in den Kellern der Sandeman’s, Calem’s, Graham’s und Cockburn‘s das weltberühmte hochprozentige Kapital lagert. Ein Kellereibesuch auf der Portweinmeile oder des neu eröffneten Portwein-Museums ist ein Muss.

Porto mag Wirtschaftsmetropole sein, manchmal wirkt es wie ein Dorf. So eng liegen Moderne und Tradition beieinander. Vor den schmiedeisernen Balkonen flattert frische Wäsche im Wind. Darunter eilen die Portuenser mit dem Handy am Ohr geschäftig durch die Gassen.

Fünfzig Kilometer nordöstlich von Porto liegt Guimarães, eine kleine Stadt voller Geschichte. Hier treffen die EM-Gruppenrivalen Italien, Dänemark und Bulgarien aufeinander. Schauplatz ist das supermoderne Dom-Afonso-Henriques-Sta­dion, das dem berühmtesten Stadtsohn gewidmet ist. Sein Denkmal im historischen Zentrum erinnert an die Stunde Null Portugals, das Jahr 1139. Damals hatte Afonso Henriques sich beherzt zum ersten König erklärt und die Stadt zu seiner Kapitale. Spanien hat das dem kleinen Nachbarn nie verziehen. Die monströse achttürmige Burgruine spricht Bände von den kriegerischen Zeiten, die auf die Unabhängigkeit folgten. Dass die Altstadt samt des ausgefallenen Herzogspalast, der Kirchen, Klöster und Stadtvillen trotzdem so gut erhalten ist, würdigte die Unesco 2002 mit dem Welterbe-Emblem.

Guimarães und Braga liegen nur zweiundzwanzig Kilometer auseinander. Braga hat als Bischofsstadt Geschichte geschrieben, wird aber mit dem Favoriten-Duell Niederlande gegen Lettland nun auch in der Fußballwelt einen Platz ergattern. Es findet im Braga-Stadion des portugiesischen Stararchitekten Souto Moura statt, ein multifunktionales Kunstwerk, das die UEFA bereits zu einem der spektakulärsten Stadien der Welt gekürt hat.

Wegen der vielen Gotteshäuser gilt Braga als das „portugiesische Rom“. Doch seine Bedeutung als Industriestandort ist mittlerweile mindestens ebenso groß. Da der Verkehr um den Stadtkern herum gelenkt wird, lassen sich die Kathedrale mit ihrem herrlichen Stilcocktail, der strenge Bischofspalast und die barocken Bilderbuchgassen trotzdem in aller Ruhe besichtigen.

Bragas sakraler Superlativ, die Wallfahrtskirche Bom Jesús do Monte, liegt auf dem Gipfel des bewaldeten Berges Monte Espinho. Mit ihrer symmetrischen, doppelläufigen Barocktreppe dürfte sie die schönste im Lande sein. Plätschernde Brunnen, Statuen und Kapellchen versüßen dem Pilger den Aufstieg über die fast 1000 Stufen. Unterwegs sind die Leiden Christi in Szene gesetzt. Oben belohnt die grandiose Aussicht auf die Landschaft für die Plackerei. Wer es sich leicht machen will, kann alternativ die Standseilbahn nehmen. Der göttliche Segen wird gewiss auch den Fußlahmen nicht verwehrt. Allerdings heißt es in einem portugiesischen Sprichwort: „Zum Erfolg gibt es keinen Lift; man muss schon die Treppe nehmen.“ Womöglich gilt das auch für unsere Jungs. Vielleicht gibt es dann ja ein Wunder von Porto.

Die Welt

© Beate Schümann


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