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16. Und ab geht’s nach dem Abpfiff

Portugal ist dieses Jahr gleichbedeutend mit Fußball. Doch nicht erst, wenn die Lieblinge untergegangen sind, lohnt sich die Gegend um Aveiro, Coimbra und Leiria, wo Strände im Überfluss und aufregende Bauwerke alles andere vergessen lassen.

Ohne die drei großen F’s, heißt es, geht in Portugal nichts: Fado, Fátima und Fußball. Fado ist der bittersüße Wehmutssong, Fátima bedeutet inbrünstige Frömmigkeit und Fußball – nun ja, jedenfalls in diesem Jahr stehen all diese F-Wörter für die Fußball-Europameister­schaft. Dass auch hier große Leidenschaft im Spiel ist, beweisen die zehn Stadien, die das Land sich extra für diesen Anlass leistet. Portugals Stararchitekten gingen ans Werk. Der Spaß kostete 595 Millionen Euro. 

Manche Fußballfans meinen ja, dass die EM für Deutschland bereits am 19. Juni mit dem Spiel gegen Lettland vorbei sein wird. Sollen sie unken, die Skeptiker. Rudi Völler hat zwar gesagt, bei diesen Gruppengegnern könne man nicht jubeln. Ob Lettland, Tschechien und die Niederlande aber auf portugiesischem Boden eine Gefahr für unsere Elf sind, werden die Spiele in Aveiro zeigen, wo sich die Favoriten duellieren. Wenn unsere Lieblinge wirklich untergegangen sind und die Feinde triumphierten, wird es allerdings Zeit, die strapazierten Nerven mit etwas Schönem zu besänftigen, etwa mit ein paar netten Stränden oder aufregenden Bauwerken. Dafür ist das Stadiondreieck Aveiro, Coimbra und Leiria im Zentrum Portugals ideal.

Aveiro liegt am südlichen Rand einer weiten Hafflandschaft, dem Naturschutzgebiet Ria de Aveiro. Wie eine riesenhafte Krake streckt sie ihre Arme ins Land hinein, die in einem verzweigten, wirren Geflecht aus wässrigen Kapillaren enden. Graziös gleiten die breitbauchigen Barken der Algenfischer mit dem Viereckssegel und dem hoch geschwungenen, bunt bemalten  Bugsteven durch das Wasserlabyrinth. Heute meist der Anmut und der Touristen wegen, als um nach Algen zu fischen, die nichts mehr einbringen. An den Rändern des Haffs heben sich weiß glitzernde Salinenfelder und Meersalzpyramiden ab, die der Stadt einst ihren Reichtum beschert haben.

Landkarten des Mittelalters weisen Aveiro als Küstenort aus. Einst stachen hier die Karavellen der Entdeckernation in See. Heute trennen Aveiro acht Kilometer von der Küste. Von allen Seiten dringen Wasserarme in die Lagunenstadt ein, was ihr ein spezielles Flair verleiht - ein bisschen Amsterdam, ein bisschen Venedig. Die Rundbogenbrücken und die Patrizierhäuser am Canal da Cidade, wo auch Rundfahrten in die Ria starten, unterstreichen den Eindruck. Die Kathedrale, das Barockkloster Convento de Jesús mit reichem Blattgoldschmuck und der Bahnhof mit seinen schönen Fliesen erinnern an die Blütezeit. Auf einer der Sandbänke vor Aveiro kann sich der Strandfan sogar Karibikflair um die Nase wehen lassen: in Casa Nova, wo die weißen Holzhäuser mit gelben, grünen, roten oder blauen Streifen bemalt sind.

Im Fußballstadion von Coimbra, gut 70 Kilometer weiter südlich, wird Titelverteidiger Frankreich zweimal um seine Ehre ringen. Darüber hinaus ist, pardon, womöglich die Stadt interessanter, die eine der ältesten Universitätsstädte Europas ist. Die 1288 gegründete Universität auf dem höchsten Punkt der Stadt ist schon von weitem zu sehen. Doch die weißen Häuser haben sich terrassenartig zum Mondego-Fluss hinunter angesiedelt. Die Uni dominiert nicht nur geographisch. Die gut 20 000 Studenten verleihen der Stadt einen spürbar dynamischen Lebensrhythmus.

Touristengerecht drängen sich die Sehenswürdigkeiten eng um den Bildungshügel. Einlass zur ehrwürdigen Lehranstalt gewährt die Porta Férrea, das Eiserne Tor, dessen Säulen die alten Fakultäten symbolhaft darstellen. Das Schmuckstück ist die Bibliothek, in der aber nicht mehr gelesen, sondern nur noch gestaunt wird: verschnörkelte Triumphbögen, vergoldete Holzschnitzereien, barocke Malereien und dazwischen gut 300 000 Bücher, Handschriften und Drucke.

Gleich gegenüber steht Portugals bedeutendste romanische Kathedrale. Die grauen Steinquader türmen sich zu einem zinnenbewehrten Bau auf, der mehr Burg als Gotteshaus ist. Im prächtigen Bischofspalast dahinter ist heute das Nationalmuseum Machado de Castro untergebracht mit einer großen Skulpturensamm­lung, Malerei und Keramik. Ein Prachtbau ist auch die Klosterkirche Santa Cruz von 1131, die die berühmten Hofarchitekten Diogo Boytaca, Nicolas Chanterène und die Castilho-Brüder im 16. Jahrhundert, Portugals Glanzzeit, verschönerten. Aus der Maurenzeit ist nicht viel übrig geblieben, nur der Arco de Almedina, ein Torbogen der alten Stadtmauer.

Bis nach Leiria sind es 68 Kilometer. In Leiria selbst ist eigentlich nur das gigantische Burgschloss beeindruckend. Doch das Umfeld ist hochkarätig, bestes Unesco-Welterbe-Niveau. Zum Beispiel das Dominikanerkloster in Batalha. Hier steht das Schönste, was die Gotik in Portugal zu bieten hat, ein filigranes Meisterwerk und irdischer Dank an den Himmel. Denn Batalha bedeutet Schlacht und meint jene von 1385, die für Portugal zur Sternstunde seiner Geschichte wurde: der Sieg über Spanien, der Portugals Souveränität bewahrte. Gut 200 Jahre Bauzeit reichten nicht, um das gigantische Vorhaben zu vollenden. Mehrere Kriege und künstlerische Epochen fegten über sie hinweg. Gotik, Manuelinik und Renaissance verschmolzen in einem Monument. Der gänzlich ungestützte Kapitelsaal dürfte Ingenieure noch heute in Bewunderung versetzen. Im Kreuzgang mit den Ornamentgittern haben es die Steinhauer zu Höchstleistungen gebracht.

Ein Gelöbnis in Stein ist auch das Zisterzienserkloster im benachbarten Alcobaça. Portugals erster König stiftete es nach seinem Sieg über die Mauren. Seit 1178 erhebt sich die Abtei mit drei gewaltigen, gleich hohen Kirchenschiffen und zwölf Gewölben über 24 Pfeilern, die größte Kirche Portugals und zugleich die größte Zisterzienserkirche Europas. Während der Raum in den Himmel wuchs, geizte der Orden mit Schmuck. Einzig im Querschiff stehen zwei prunkvoll gemeißelte Marmorsarkophage von König Pedro und der Zofe Inês, deren Liebesgeschichte die ganze Nation romantisch machte. An leiblichen Genüssen haben es sich die Klosterbrüder jedoch nicht mangeln lassen. Dem Koch stand in der Küche ein achtzehn Meter hoher Kamin zur Verfügung, in dem er drei Ochsen gleichzeitig braten konnte. 

Zum Schluss steht die Option Sonnenbaden oder Fátima? Für die erste bietet sich die Costa de Prata zwischen Aveiro und Leiria an. Silberblau blitzt der Atlantik im Sonnenlicht. Daher muss der Name „Silberküste“ kommen. Strände gibt es im Überfluss. Vor allem Nazaré ist für die pittoreske Strandszenerie der Ochsengespanne bekannt, mit denen die Fischer früher ihre Boote aus dem Meer zogen.

Vielleicht wird sich der leidenschaftliche Fußballfan aber für die zweite Option entscheiden. Fátima ist jener Wallfahrtsort, wo 1917 drei Hirtenkinder mehrmals eine Marienerscheinung hatten und 1928 am Ort des Geschehens eine Basilika entstand, die doppelt so groß ist wie der Petersplatz in Rom. Jedes Jahr pilgern Millionen Gläubige hierher, um Beistand zu erbitten. Wenn die Glücksgöttin Fortuna der deutschen Nationalelf bei der Gruppenauswahl schon nicht hold war, legt vielleicht die Jungfrau Maria vom Rosenkranz ein gutes Wort für sie ein.

Sonntag Aktuell

© Beate Schümann


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